Während meiner Expeditionsreisen in Nepal hatte ich auch die Möglichkeit auf dem berühmten Mount Everest Trail Richtung Base Camp des Mount Everest zu wandern. Dabei ist ab der letzten größeren Ortschaft, Namche Bazar, immer ein Berg omnipräsent, lange noch bevor ein Everest oder Lhotse um die Gunst des Wanderers buhlen. Seine formschönen Grate und Flanken, besonders sein vergletscherter Gipfelaufbau , ziehen jeden Betrachter in seinen Bann und vermutlich werden Gipfelträume in den Köpfen ambitionierter Alpinisten konkret. Tagelang wandert man an diesem Kunstwerk eines Berges entlang und auf Grund seiner Ähnlichkeit mit einem ebenso markanten Gipfel in den Westalpen wird er das „Matterhorn Nepals„ oder in Sanskrit : „Mutter und ihre Halskette„ genannt — oder ganz einfach die AMA DABLAM .

Im Jahre 2015 konnte ich mit Pongauer Bergkameraden die erste österreichische Ski-Expedition auf den Mera Peak durchführen und dabei meine Bergkameradin Kerstin kennenlernen. Diese war in den letzten Jahren wiederholt auf Trekkingtouren in Nepal und konnte dadurch den Kontakt mit einem unserer damaligen Climbing Sherpas, Prakash Pemba, aufrecht erhalten. Des weiteren arbeitete Pemba in den letzten Saisonen wiederholt auf der Werfener Hütte im Salzburger Tennengebirge. 

Und so kam es, dass eines Abends, bei einem kitschigen Sonnenuntergang auf der Werfener Hütte, der Plan für eine Bergtour zur Ama Dablam entstand. Es muß hiebei noch angeführt werden, dass sich Prakash Pemba in den letzten Jahren zu einem der gefragtesten Climbing Sherpas entwickelt hatte und unter anderem 2 mal am Gipfel des Mount Everest und der Ama Dablam stand, dabei hat er alle seine Klienten sicher rauf und runter gebracht, 100 % Quote.

Nach anfänglichen Zweifeln betreffend unserer technischen Möglichkeiten für die Besteigung dieses Berges (kombiniertes Eis- und Felsgelände im V. Schwierigkeitsgrad) konnten diese von Pemba ausgeräumt werden und wir begannen mit dem Training und der Planung für unsere Expedition.

Im November 2019 war es dann soweit und wir flogen nach Nepal. Nach einem Tag Aufenthalt in Kathmandu und organisatorischer Erledigungen flogen wir am nächsten Tag per Helikopter nach Lukla (2.750 Hm). In den nächsten 6 Tagen wanderten wir via Namche Bazar- Tengboche-Dingboche- in das Base Camp mit Lodge der Ama Dablam auf 4.600 Hm. Immer wieder wurden während der Tagesetappen noch kurze Wanderungen mit Höhengewinn durchgeführt unter dem Motto:     „Climb high-sleep low„

Nach einem Ruhetag im Base Camp begann die eigentliche Akklimatisation und Vorbereitung auf die technischen Schwierigkeiten- immer wieder wurde in Etappen auf die nächsten Camps aufgestiegen, genächtigt, trainiert und wieder ins Base Camp abgestiegen. Dies erfolgte zum ABC auf 5.400 HM,  High Camp 1 auf 5.800 Hm, High Camp 2 auf 6.200 Hm. 

Zwischen HC 1 und HC 2  wurde der Gelbe Turm und in weiterer Folge ab HC 2 der Graue Turm mehrfach geklettert, dies vor allem auch auf Grund der Tatsache, weil der Gipfeltag um 23.00 Uhr vom HC 2  startete und dabei diese schwierigen Kletterstellen bei Dunkelheit bewältigt werden mussten. Es sind zwar durchgehend Fixseile angebracht und die Sicherung erfolgt mit einer Steigklemme (Petzl Ascension) trotzdem ist es mit Rucksack und Expeditionsschuhen kein leichtes diese Kletterpassagen zu überwinden.

Nach insgesamt 9 Tagen des Trainings und der Akklimatisation folgten 2 Ruhetage und das Wetter war uns gnädig- ein Wetterfenster von 4 Tagen mit geringen Temperaturen (-17 Grad auf 6.200 Hm ) und geringer Windgeschwindigkeit ( 35-40 km/h ) wurden prognostiziert. Somit stand einem Gipfelversuch nichts im Wege.

Es wird hier angeführt, dass es nicht selbstverständlich ist , gesund zu bleiben und die Akklimatisationstage sowie die danach benötigten Gipfeltage so perfekt zu bekommen, in dieser Höhe gibt es kein Wunschkonzert, nur Dankbarkeit und Demut wenn dies der Fall ist.

Ich konnte in der Zeit im Base Camp viele Alpinisten aus aller Herren Länder treffen, die teilweise 18 Tage vor Ort waren und keine Chance auf den Gipfel hatten, sei es aus gesundheitlichen Gründen oder Gipfelstürmen oder einfach zu tiefen Temperaturen.

Nach einer Nacht im HC 1 und einem weiteren kurzen Abend im HC 2 startete mein Gipfeltag um 00:30 Uhr, meine Bergkameradin Kerstin war zu diesem Zeitpunkt auf Grund der tiefen Temperaturen durchgefroren und konnte erst in weiterer Folge durch wärmende Getränke und Zuspruch von Pemba um 03:00 Uhr zum Aufbruch überzeugt werden.

Da wir von Anfang an den Bruder von Pemba im Team hatten (Ongcchu) konnten wir uns aufteilen und blieben via Funk in Verbindung. Von den ersten 6 Stunden des Aufstieges kann ich nicht viel erzählen, es war kalt, windig und unangenehm, keine Momente die ich irgendwie als angenehm in Erinnerung habe. Erst als die Morgendämmerung eine erste Sicht auf den Gipfel freigab kam ein Gefühl der Erleichterung, der Wärme durch die ersten Sonnenstrahlen- und um 08:03 Uhr, am 05.11.2019, war es dann so weit.

Sechs der 14 Achttausender und der Blick in das tibetische Hochland sind nur ein Teil des faszinierendes Rundumblicks von einem der schönsten Berge der Welt. Einige Fotos und ein Telefonat mit meiner Lebensgefährtin in Österreich- ein Hurra auf unser digitalisiertes Zeitalter- und nach ca. 15 Minuten mussten wir auf Grund der Temperaturen von ca. – 35 Grad (mit Windchill)  den Abstieg antreten.

Noch einmal volle Konzentration in den nächsten Stunden- jedes mal kontrollieren ob das Abseilgerät (ATC Guide) richtig eingelegt ist- ein kleiner Fehler kann fatale Folgen haben.

Erst wenn man wieder im High Camp 2 angelangt ist, kann man den Gipfelerfolg genießen. Am Weg nach unten treffe ich Kerstin, per Funk habe ich am Gipfel ihre Gratulationen entgegen genommen- sie ist motiviert und ich wünsche ihr viel Glück.  Um 14.00 Uhr komme ich endlich ins ersehnte HC 2- endlich den Rucksack ablegen, die Füße austrecken und loslassen- Erleichterung- Demut-Stolz- sicher zurück- Danke.

Nach Tee und Tomatensuppe kommen meine Lebensgeister wieder zurück, mittlerweile habe ich per Funk auch den Gipfelerfolg von Kerstin vernommen und um 17.00 Uhr ist auch sie gemeinsam mit Pemba wieder im HC 2.

Nach einer weiteren Nacht im HC 2 beginnen wir am nächsten Tag erschöpft aber glücklich den Abstieg ins Base Camp wo wir am Abend mit einem „Summit Cake„ und einer kleinen Feier überrascht werden.

Kerstin fliegt am nächsten Tag mit dem Helikopter direkt vom Base Camp nach Kathmandu um den Heimflug nach Österreich zu erwischen, doch ich habe noch einige Tage Zeit um  während meiner Wanderung nach Namche Bazar und dem Rückflug von Lukla die ganzen Eindrücke Revue passieren zu lassen ….

Es wird angemerkt, dass lt. vor Ort erhältlichen Informationen, vor allem des Expeditionsunternehmens Adventure Consultant , nur ca. 200-250  Alpinisten pro Jahr den Gipfel der Ama Dablam in der 2 monatigen Saison erreichen, dies vor allem auf Grund der technischen Schwierigkeiten und der extremen Kälte. Die Ausfallsquote liegt bei 40%,  15 Seilbergungen mussten in dieser Saison durchgeführt werden.

Zum Vergleich dazu werden in einer Saison mit guten Wetterbedingungen ca. 250 Personen (ohne Climbing Sherpas und internationalen Bergführern) auf den Gipfel des nebenbei befindlichen Mount Everest gebracht.

© Michael SCHWEIGER – Mitglied LPSV